von Maximillian Braun - 0 Kommentare

Eine heikle Entscheidung mit großer Fallhöhe: In Pakistan läuft laut übereinstimmenden Berichten die Vorbereitung zur Bergung der verunglückten Biathlon-Ikone Laura Dahlmeier. Damit würde von ihrem niedergeschriebenen Wunsch abgewichen, im Fall eines tödlichen Unfalls im Gebirge nicht geborgen zu werden, um keine weiteren Menschen zu gefährden. Offizielle Bestätigungen sind spärlich, die Lage am Berg bleibt riskant – und die Debatte um das richtige Vorgehen reißt nicht ab.

Was wir über den Unfall und die Lage am Berg wissen

Der Unfall ereignete sich am 28. Juli am Laila Peak im Karakorum, einem der markantesten Gipfel Pakistans. Laila Peak ragt mit rund 6.096 Metern wie ein Speer aus dem Hushe-Tal auf. Die steilen Flanken und die ausgesetzte Topografie sind berüchtigt, gerade im Sommer steigt die Gefahr von Fels- und Eisschlag. Genau so ein Felssturz wurde Dahlmeier laut übereinstimmenden Darstellungen zum Verhängnis – beim Abseilen, also in einer Phase, in der die Bewegungsfreiheit minimal ist und Reaktionszeit kaum bleibt.

Ihr Seilpartner setzte sofort einen Notruf ab. Doch die Bedingungen verhinderten jede Annäherung: anhaltender Steinschlag, brüchige Passagen, kaum sichere Standplätze. Auch militärische Helikopterflüge brachten keine Wende. Aus den Beobachtungen aus der Luft und den Informationen vom Partner leiteten die Behörden vor Ort eine sofortige Todesfeststellung ab. Der Körper blieb, unzugänglich gesichert, im Absturzgelände.

Nun heißt es aus pakistanischen Bergführer-Kreisen, ein Team bereite sich darauf vor, in das Gefahrenareal einzusteigen. Namentlich wurde der Guide Kaleem Shani genannt, der aus dem Hushe-Tal stammt und die Routinen an Laila Peak kennt. Wer die Bergung initiiert hat, unter welchen Auflagen sie erfolgt und wie hoch die Risikobewertung ausfällt, wird bislang nicht im Detail öffentlich gemacht. Klar ist: Jeder Schritt in diesem Gelände kostet Zeit, Material – und kann für die Einsatzkräfte lebensgefährlich werden.

Besonders heikel: Dahlmeier hatte zuvor schriftlich festgelegt, dass niemand sein Leben riskieren solle, um sie nach einem Unglück zu bergen. Ihr Management hatte dieses Dokument schon kurz nach dem Unfall öffentlich bestätigt. Die jetzt geplante Bergung widerspricht dem – zumindest auf den ersten Blick. Hinter den Kulissen dürfte es Abwägungen geben, die wir von außen nur begrenzt beurteilen können: die Wünsche der Familie, die Einschätzung der lokalen Experten, ein schmaler Wetterkorridor und die Frage, ob die konkrete Position am Berg eine verhältnismäßig sichere Aktion überhaupt zulässt.

Ethik, Risiko und Erinnerung: Warum dieser Fall so schwierig ist

Im Hochgebirge sind Bergungen immer eine Gradwanderung. Drei Aspekte stehen dabei im Konflikt: die Autonomie der Verunfallten, die Sicherheit der Retterinnen und Retter und das Bedürfnis der Angehörigen nach Abschied und einem Ort der Trauer. In vielen Fällen bleiben Menschen am Berg, wenn das Gelände zu gefährlich ist oder der explizite Wunsch vorliegt. In anderen Fällen gelingt eine Bergung, weil Wetter, Gelände und Ressourcen eine vertretbare Durchführung erlauben. Die Praxis ist also nicht schwarz-weiß – sie hängt am Einzelfall.

Laila Peak ist dafür ein Sinnbild. Die Normalroute führt über steile Firn- und Mischpassagen, die sich mit den Tages- und Jahreszeiten drastisch verändern. Mit dem sommerlichen Temperaturanstieg taut Permafrost, Fels löst sich leichter, die Falllinien bleiben aktiv – besonders nachmittags. Erfahrene Teams arbeiten deshalb mit eng getakteten Zeitfenstern, nächtlichen Anstiegen und redundanten Sicherungen. Selbst dann lässt sich das Restrisiko nicht auf null drücken.

Hinzu kommt die Logistik: Eine Bergung in dieser Höhe braucht Fixseile, Bohrhaken oder Eisschrauben, Helikopterbereitschaft, medizinische Versorgung und eine saubere Abstimmung zwischen Armee, lokalen Behörden und Bergführern. Das kostet Geld und bindet Menschen, die gleichzeitig woanders gebraucht werden könnten. Deshalb wird weltweit bei jeder Mission neu bewertet: Ist der Plan verantwortbar? Gibt es einen Plan B, wenn das Wetter kippt oder der Fels wieder in Bewegung gerät?

Die emotionale Dimension ist nicht weniger komplex. Drei Wochen nach dem Unfall veröffentlichte Dahlmeiers Mutter eine sehr persönliche Botschaft, die in der Biathlon-Community wie eine offene Wunde wirkte – viele sprachen von einer „Brücke ins Paradies“. Solche Worte setzen Prioritäten: Es geht um Abschied, Würde, Erinnerung. Genau darin liegt aber die Spannung, wenn ein letzter Wille dokumentiert ist und doch eine Bergung erwogen wird. Angehörige, Management und Einsatzkräfte müssen eine Lösung finden, die der Persönlichkeit der Athletin gerecht wird und gleichzeitig das Leben von Rettern schützt.

Wer war die Sportlerin hinter all dem? Dahlmeier, geboren 1993, prägte den Biathlon weltweit über Jahre. Bei den Winterspielen 2018 holte sie zweimal Gold und einmal Bronze. Dazu kommen sieben WM-Titel und der Gesamtweltcup. 2019 beendete sie ihre Karriere früh – nicht aus Mangel an Motivation, sondern aus dem Wunsch nach einem anderen Lebenstempo, mehr Gesundheit und mehr Zeit in den Bergen. Sie engagierte sich in Umweltfragen, suchte Gipfel im Alpenraum und darüber hinaus, immer mit Respekt vor der Natur und ihren Regeln.

Darum berührt dieser Fall so viele Menschen – weit über den Biathlon hinaus. Für die Bergszene zeigt er, wie dünn die Linie zwischen Leidenschaft und Gefahr ist. Für den Sport erinnert er daran, dass Stars nicht unverwundbar sind. Und für alle Beteiligten vor Ort bleibt die Verantwortung, Entscheidungen mit kühlem Kopf zu treffen: kein Heldentum, kein Druck von außen – nur saubere Risikoarbeit und der Versuch, Wunsch, Würde und Sicherheit so gut wie möglich zusammenzubringen.

Wie es konkret weitergeht? Das hängt vom Berg ab. Ob die Bedingungen ein kurzes, präzises Zeitfenster öffnen, ob das Team vor Ort die Route stabil sichern kann, ob das Wetter hält. Solange es keine offizielle Bestätigung über den Start und Ausgang der Mission gibt, bleibt Vorsicht angebracht. Fest steht nur: Die Anteilnahme ist groß, die Fragen sind ernst – und die Entscheidungen, die jetzt fallen, werden lange nachhallen.